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Glockenweihe 1949

Erinnerungen einer damaligen Konfirmandin an die Glockenweihe 1949

Glockenweihe 1949

Erinnerungen einer damaligen Konfirmandin

 

Die Abholung und Einweihung der neuen Glocken für die evangelische Kirche in Birkenau war ein denkwürdiges Ereignis in meiner Konfirmandenzeit. Ich ging gerne zur Konfirmandenstunde, und will im Folgenden einige Erinnerungen daran aufschreiben. Wir Kinder vom Jahrgang 1935/36 wurden schon im Spätherbst 1947 in die sogenannte Vorkonfirmandenstunde eingeführt. Unterrichtet wurden wir von dem Pfarr-Assistenten Kurt Davidson, der einige Zeit zuvor auf die neu eingerichtete zweite Pfarrstelle in Birkenau gekommen war. Vorher war Pfarrer Adolf Storck alleine für die große Kirchengemeinde zuständig, zu der damals auch noch, bis Ende 1960, alle Orte der heutigen Kirchengemeinde Reisen gehörten. Im Wechsel betreute nun jeweils einer der Pfarrer einen Konfirmandenjahrgang. An Pfarrer Davidson denken wir auch heute noch in großer Verehrung zurück! Er hatte im Zweiten Weltkrieg bei einer Kopfverletzung ein Auge verloren, welches durch ein Glasauge ersetzt war. Wir wussten auch, dass er oft starke Kopfschmerzen hatte. Bei unserem feierlichen Einführungsgottesdienst 1947 herrschten noch die großen Notzeiten der ersten Nachkriegsjahre. Die Väter vieler Kinder waren gefallen, und diejenigen, welche den Krieg überlebt hatten, waren noch lange nicht alle aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt.

Die Lebensumstände der Bevölkerung änderten sich im Jahr darauf schnell zum Besseren nach der Währungsreform am 20. Juni 1948. Die Zwangsbewirtschaftung wurde aufgehoben, und man konnte bald wieder alles ohne Lebensmittelkarten, Kleiderpunkte und Bezugsscheine kaufen. Aber die Leute hatten durch die Abwertung der Reichsmark den größten Teil ihrer Ersparnisse verloren, und mussten erst einmal ihre Einkünfte in D-Mark erhalten, um Neuanschaffungen machen zu können.

Das wichtigste Investitions-Projekt, das die Kirchengemeinde Birkenau nun in Angriff nehmen musste, war der Kauf neuer Kirchenglocken. Bei der Beschlagnahmung und Demontage der Glocken zu Beginn des Zweiten Weltkrieges, um aus ihrem Metall totbringende Waffen zu schmieden, war nur eine kleine Glocke auf dem Turm verblieben. Aber diese hatte im Lauf der Zeit einen Sprung bekommen, und gab nur noch einen blechernen Klang ab. In der Rückschau erscheint ihr Läuten wie ein Abbild der jammervollen Zeitverhältnisse. Als sie ihren tapferen Dienst bis zum Ende getan hatte, stand sie zum Abschiednehmen neben dem Kirchenportal.

Im Juni 1949 sollte nun das neue Geläut von der Glockengießerei in Frankental geliefert werden. Einige Tage vorher gingen wir Konfirmanden mit Pfarrer Davidson und dem Förster in den Wald, um Fichtenäste zu schneiden, womit die Glocken zu ihrer Begrüßung geschmückt werden sollten. Nach getaner Arbeit setzten wir uns an den Waldrand auf der Höhe zwischen Birkenau und Nieder-Liebersbach, und übten einen Glocken-Kanon ein, den wir begeistert sangen. 

Von dem Fichtengrün banden dann die Erwachsenen Girlanden. Zusammen mit grünen Laubzweigen wurden damit die Glocken bei ihrer Ankunft vor dem Ortseingang umwunden, und konnten nun ihren feierlichen Einzug in Birkenau beginnen. In der Kirchgasse, vor dem Tor zur Kirche, war eine riesengroße Menschenmenge versammelt, die dichtgedrängt an der kleinen Begrüßungsfeier teilnahm. Es war ein herrlicher Frühsommerabend.

Von dem Festgottesdienst am darauffolgenden Sonntag ist mir das erste Läuten der Glocken unvergesslich geblieben: Die beiden Pfarrer standen zusammen vor dem Altar. Pfarrer Storck rief die große Glocke mit ihrer Inschrift auf: „Land, Land, Land, höre des Herren Wort!“ Daraufhin hörten wir zum ersten Mal ihren vollen, schönen Klang. Danach rief Pfarrer Davidsohn die zweite Glocke auf, die den Spruch trägt: „Danket dem Herrn allezeit, und für alles!“ Nun begann sie mit ihrem höheren Ton zu läuten. Als sie geendet hatte, forderte Pfarrer Storck die dritte Glocke auf, welche die Weihnachtsbotschaft verkündet: „Friede auf Erden!“ Auf der anderen Seite trägt sie die Widmung: „Unseren Gefallenen!“ Nachdem auch sie eine Zeitlang alleine erklungen war, riefen beide Pfarrer alle drei Glocken zum Zusammenläuten auf, und die ergriffene Gemeinde hörte zum ersten Mal ihr neues, wohlklingendes Geläute, welches sie nun schon 75 Jahre in Freud` und Leid begleitet.

Am Pfingstmontag, dem 29. Mai 1950 wurden wir unter den schönen Glockenklängen konfirmiert. 

 

Helga Müller geb. Brehm


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